Anamnese:
Allgemein:
-
30-jähriger Mann
-
Verwaltungsfachangestellter
-
voll orientiert
-
normale Konstitution
-
Patient habe seit heute Fieber und stechende Herzschmerzen
Frage: An
welche Differenzialdiagnosen denken Sie bei Schmerzen hinter dem
Sternum im Zusammenhang mit Fieber?
Differenzierung
der Beschwerden:
Er
habe noch nie Schmerzen in dieser Qualität gehabt. Die Stärke würde
er auf der VAS (Visuelle Analogskala) bei 6 einordnen. Die Schmerzen
hätten heute begonnen und seien in ihrer Intensität konstant
geblieben. Einen Auslöser könne er nicht benennen. Im Liegen, und
wenn er husten müsse, seien die Schmerzen stärker. Leichte
Ausstrahlungen in beide Arme seien vorhanden.
Vegetative
Anamnese:
Er
sei besorgt. Er habe vor einer Stunde 38,5 Grad axilläre Temperatur
gemessen. Er fühle sich allgemein schlapp.
Vorerkrankungen:
Er
sei Asthmatiker. Er habe vor vier Wochen eine Erkältung gehabt.
Medikamenten-
und Suchtanamnese:
Er
trinke ganz gern mal ein Gläschen. Rauchen tue er, seitdem er 10 sei
(20py). Seine Cannabis-Zeit sei vorbei.
Reiseanamnese:
Er
sei vor fünf Wochen auf Urlaub in der Türkei gewesen.
Sozioökonomische
Anamnese:
Er
habe ordentlich Stress in seinem Beruf. Aber er käme damit klar. Er
bräuchte auch immer was zu tun. Seine Freundin habe er jetzt seit 4
Jahren. Kinder seien in Planung.
Familienanamnese:
Bestimmte
Erkrankungen in der Familie seien nicht bekannt.
Frage: Mit
Augenmerk auf die Reiseanamnese, die durchgemachte Erkältung und die
Veränderung der Schmerzintensität durch Lageänderung: An welche
Diagnose denken Sie am ehesten?
Befund:
Allgemeines:
-
Patient sieht blass aus
-
Temperatur rektal: 39 Grad Celsius
Herz-Kreislauf:
-
kratzendes Geräusch bei der Herzauskultation (vor allem in
Expiration zu vernehmen)
Lunge:
-
Untersuchung komplett unauffällig
EKG:
-
leichte ST-Strecken-Hebung
Labor:
-
geringfügiger Anstieg von CK und Troponin
Frage: An
welche Diagnose denken Sie bezüglich des kratzenden Geräuschs in
der Herzauskultation am ehesten? Wie passt dieser Befund mit EKG und
Labor zusammen? Was ist Ihre Hauptverdachtsdiagnose?
(für
Auflösung bitte scrollen)
Erläuterung
zum Fallbeispiel "Perikarditis"
Die
Perikarditis ist ein Krankheitsbild, welches mannigfaltige Ursachen
haben kann. Sie kann, grob gesagt, in infektiöse,
autoimmune/überempfindlichkeitsreaktive und sonstige
nicht-infektiöse Geschehen unterteilt werden. Was die Infektionen
angeht, kommen verschiedene Viren, Bakterien, Pilze oder Parasiten in
Betracht. In Verbindung mit Autoimmunerkrankungen und
Überempfindlichkeitsreaktionen findet sie sich bei rheumatischem
Fieber, verschiedenen Kollagenosen, Medikamenteninduktion und als
Folge eines Myokardinfarktes (Dressler-Syndrom). Sonstige
nicht-infektiöse Ursachen sind sehr vielfältig und reichen von
Myxödem, Urämie über mechanische Traumata bis hin zur Folge von
Bestrahlung (z.B. bei Tumoren). Es handelt sich also um eine
Krankheit, die eine sehr genaue Anamnese erfordert, und auch dann
immer noch schwer zu diagnostizieren ist.
In
diesem Fallbeispiel haben wir einen 30-jährigen Mann, der am Tag
seiner Vorstellung bei Ihnen Herzschmerzen und Fieber bekommen habe.
Erst einmal ist zu sagen, dass akute Perikarditiden (es gibt auch
chronische Verlaufsformen) oft bei jungen Erwachsenen auftreten. Die
Kombination aus stechenden Herzschmerzen und Fieber ist ebenfalls
recht typisch. Der Patient sagt weiterhin, dass er einen Auslöser
nicht benennen könne, wohl aber Veränderungen in der Intensität
der Schmerzen verspüre, wenn er seine Körperlage ändere oder
huste. Des Weiteren gibt er Ausstrahlungen in beide Arme an. An
diesem Punkt findet man sich mit der Frage konfrontiert, ob es sich
hierbei eventuell um einen Myokardinfarkt (MI) handeln könnte. Wir
haben Schmerzen im Herzbereich und es finden sich Ausstrahlungen.
Folgende Dinge müssen in diesem Zusammenhang
differentialdiagnostisch bedacht werden: Das zeitliche Verhältnis
zwischen Schmerzen und Fieber kann sehr wichtig sein, wenn man die
Perikarditis von einem MI abgrenzen will. Denn während bei Ersterer
Fieber und Schmerzen meist zeitgleich einsetzen, empfindet der
Patient beim MI die Schmerzen in der Regel einige Zeit, bevor eine
Temperaturerhöhung festgestellt werden kann. Untypisch für einen
Herzinfarkt ist in diesem Fall auch die Veränderung der
Schmerzintensität durch Lageänderung, was für die Perikarditis
kennzeichnend ist (im Zusammenhang mit Beteiligung der Pleura).
Wissen muss man weiterhin, dass beide Krankheiten mit Ausstrahlungen
der Schmerzen einhergehen können. Da ist ein feines diagnostisches
Gespür gefragt.
Dass
der Patient vier Wochen zuvor eine Infektion der oberen Atemwege
gehabt habe, erhärtet die Diagnose einer Perikarditis, da die
infektiösen Formen oft von einem solchen Geschehen herrühren. Der
Fakt, dass er fünf Wochen zuvor in der Türkei gewesen sei, kann auf
eine exotische Infektion hinweisen, was in jedem Fall hellhörig
machen sollte. Der Rest der Anamnese ist nicht wirklich
richtungsweisend.
Interessanter
wird es dann wieder bei der körperlichen Untersuchung. Das Fieber
bestätigt sich. Wenn man weiterschaut, wird die Dringlichkeit noch
deutlicher. Der Patient weißt ein kratzendes Geräusch über dem
Herzen auf, welches vor allem in der Expiration zu vernehmen ist.
Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um das berühmte
Perikardreiben. Es entsteht durch das Aufrauen des Herzbeutels durch
die Entzündung, was mitverantwortlich für die Schmerzen ist. Dass
die Untersuchung der Lunge komplett unauffällig ist, findet deshalb
Erwähnung, weil die Schmerzen bei Lageänderung und Husten auf ein
begleitendes pleurales Geschehen (pleuritischer Schmerz) hinweisen.
Mit einem Paukenschlag kommen dann noch EKG und Labor daher. Das EKG
weißt eine ST-Strecken-Hebung auf, und im Labor finden sich
Erhöhungen von CK und Troponin. Beide Ergebnisse sind ebenfalls
typisch für den Myokardinfarkt. Allerdings ist es gut, im Hinterkopf
zu haben, dass EKG-Veränderung und Erhöhung bestimmter
Laborparameter mit Hinweis auf Myokardzerstörung (was ja CK und
Troponin sind) bei der Perikarditis ebenfalls vorkommen, allerdings
in weniger signifikantem Maße.
Zum
Abschluss soll noch auf einige Komplikationen der akuten Perikarditis
eingegangen werden.
Sie
geht oft mit einem Perikarderguss einher, welcher seinerseits als
Gleitmittel fungiert und das Perikardreiben und somit auch die
Schmerzen einschränkt. Im Zusammenhang mit dieser Erkrankung ist ein
Nachlassen der Schmerzen also nicht zwingend ein gutes Zeichen.
Wirklich bedeutsam wird dieser Erguss, wenn er in großem Maße
zunimmt und sich eine Herzbeuteltamponade (Perikardtamponade)
entwickelt. Diese stellt einen absoluten medizinischen Notfall dar.
Sie führt dazu, dass die Füllung des Herzens beeinträchtigt wird.
Es kommt also zu einem Rückstau des Blutes in die herznahen Venen.
Imposant zeigt sich dies, wenn die Halsvenen als Folge hervortreten.
Und dann ist auch höchste Eile geboten, denn eine geringere Füllung
des Herzens führt logischerweise zu einer akuten Hypotonie,
Tachykardie und Atemnot. Mit anderen Worten: Es entsteht eine
Schocksymptomatik (es handelt sich genauer gesagt um einen
kardiogenen Schock). Ein interessanter Untersuchungsbefund bei
Patienten mit einer Herzbeuteltamponade kann der sogenannte Pulsus
paradoxus sein. Dabei handelt es sich um einen Abfall des
systolischen arteriellen Drucks bei Inspiration des Patienten. Im
Extremfall kann man sogar feststellen, dass der periphere Puls (z.B.
an der A. radialis) beim Einatmen des Patienten komplett
verschwindet.
Eine
zweite, wichtige Komplikation der akuten Perikarditis ist der
Übergang in eine chronische Perikarditis. Dabei kommt es zu einer
Schrumpfung des Herzbeutels. Der Fachbegriff dafür ist Pericarditis
constrictiva (Panzerherz). Durch dieses Geschehen wird das Herz
dauerhaft eingeschnürt, mit Folge einer chronischen
Herzinsuffizienz. Es können sich obere und untere Einflussstauungen
bilden, welche, wie schon bei der Herzbeuteltamponade, als prall
gestaute Halsvenen darstellen können.
Diagnostisch
ist das Mittel der Wahl bei der Perikarditis die Echokardiographie.
Therapeutisch kann bei einem ausgedehnten Erguss eine Punktion
durchgeführt werden. Begleitend muss, neben dieser rein
symptomatischen Therapie, nach den Ursachen gefahndet werden, welche
sich, wie oben dargestellt, sehr vielfältig darstellen. Und da kann
unter Umständen einiges an Geduld vonnöten sein.